Donnerstag, 24. April 2014

Gefühle und ihre Ventile...

An Ostern haben wir - auf Wunsch meines Neffen (8) - im Garten Fußball gespielt... Er hat das alles ganz wahnsinnig ernst genommen: mit Trikot, Trillerpfeife, gelber Karte - das ganze Programm. Und gekämpft hat er. Wie ein Stier.

Nach 30 Minuten war Abpfiff, und seine Mannschaft hatte verloren. Oh je... Tränen, Wutausbrüche - Drama!! Die Welt war ungerecht, unfair, alle gemein und schlecht. Seine Mimik erinnerte an den wehrten Herrn Klopp - nur kamen auch noch dicke Kullertränen dazu. Der Arme war vollkommen fertig.

Dieses Schauspiel brachte seine Mutter dazu, Shakespeare zu zitieren...was meinem Neffen weniger half, aber ich fand's spannend :-) In Othello heißt es nämlich:

"...But I will wear my heart upon my sleeve..."

"Ich will mein Herz an meinem Ärmel tragen..." - sinngemäß: "Ich will, dass alle sehen, was ich fühle..."

Mein Neffe trägt also, wenn es um Fußball geht, sein Herz an seinem Ärmel.
Wie der Herr Klopp im Übrigen auch...

Jürgen Klopp, Foto: BZ Berlin
Ich bewundere diese Menschen. Es hat so etwas Rohes und Authentisches, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Natürlich haben diese Gefühlsausbrüche, egal ob es um Verzweiflung, Freude, Wut oder Glück geht, auch häufig etwas Gefährliches, wenn sie so ungefiltert daherkommen. Sie können andere verletzen oder sich selbst schaden (vor allem im Zeitalter von youtube, facebook und instagram)...

Aber ich beneide sie trotzdem.

Ich persönlich trage mein Herz eher nicht an meinem Ärmel. Ich verstecke es lieber darunter. Und manchmal frage ich mich: Warum? Warum weine ich nicht, wenn ich traurig bin - warum schreie ich nicht, wenn ich wütend bin - warum zeige ich nicht, wie verletzt ich bin?

In Othello heißt es weiter...

"But I will wear my heart upon my sleeve For daws to peck at..."

Jago ist sich sicher, dass die Krähen sein Herz zum Fraß nutzen werden, wenn er es an seinem Ärmel trägt.

Vielleicht ist das auch meine Angst? Gefühle sind etwas so Rohes und Authentisches, dass ich Angst habe, sie könnten gegen mich verwendet werden. Weil sie in das Bild, das andere von mir haben oder haben könnten, nicht reinpassen. Weil sie in meinem selbst erfundenen Korsett der Abgeklärtheit und Stärke keinen Platz haben. Das ist meine Prägung: analytisch und cool bleiben. Egal, was passiert.

Ist das gesund?

Wahrscheinlich nicht. Aber manchmal - da kommen sie ja doch einfach raus, die Gefühle. Auch bei mir. Meistens in Momenten, in denen ich unglaublich glücklich bin und ich dieses Glück auch zulasse, kommt plötzlich und unerwartet ganz viel zum Vorschein, was ich sonst gerne unter meinem Ärmel verstecke... Ein Ventil geht auf, und eine Flut an ungeahnten Gefühlen schwemmt aus mir heraus: Glück, Wut, Trauer, Erfüllung, Leidenschaft - das ganze Programm.

Das ist dann wie ganz schnell Karrussel fahren oder zu viel Sekt trinken...

Zugegeben: das ist nicht immer schön und tut auch manchmal weh. Aber es ist reinigend. Und: wenn ich meine Trauer offen zeige, werde ich von anderen in den Arm genommen - wenn ich wütend bin, werde ich beschwichtigt (oder selbst angeschrien - shit happens) - wenn ich glücklich bin, bekomme ich das Glück zurückgespiegelt...Wenn ich offen bleibe, bekomme ich auch Offenheit zurück. Das übe ich momentan. Das macht manchmal Angst, aber es bleibt auf jeden Fall spannend.

Und falls die Krähen doch mal kommen? Kein Problem. So böse gucken wie der Herr Klopp kann ich auch ;-)

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